Buchrezension,  Jugendroman

4-Fragen-4-Antworten-Review zu »Es war die Nachtigall« von Katrin Bongard | Eine tragische Liebesgeschichte zu Zeiten von Klimawandel und Massentierhaltung – mit einem Ende, über das man diskutieren sollte

Heute gibt es mal wieder eine 4-Fragen-4-Antworten-Review. Dieses Mal zu »Es war die Nachtigall« von der deutschen Autorin Katrin Bongard. Für mich persönlich ein All-Age-Roman, den ich begeistert begonnen und zwiegespalten beendet habe. Als ich kürzlich bei Instagram auf das Buch aufmerksam geworden bin, war ich sofort neugierig. Die Kurzbeschreibung klang für mich nach einer vielversprechenden Liebesgeschichte mit einer zeitgemäßen Botschaft. Ja, hier schlägt die Uhr in mehrerer Hinsicht kurz vor Zwölf, indes weite Strecken mit dem Fahrrad bewältigt werden. Was mir an dem Roman gefallen und weniger zugesagt hat, versuche ich in dieser etwas anderen Form der Buchbesprechung zu ergründen. Es war (passend zum Buch) wie Radfahren im Hochsommer!

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Kurzbeschreibung:

Ökoaktivisten gegen Jäger, Weltoffenheit gegen Tradition, zwei unversöhnliche Lager und eine große Liebe. Die 16-jährige Marie kämpft mit einer Gruppe von Freunden für den Tierschutz und gegen den Klimawandel. Sie will etwas verändern. Bei einem Konzert ihrer Lieblingsband trifft sie ausgerechnet auf Ludwig von Brockdorff, einen leidenschaftlichen Jäger. Obwohl beide vom ersten Moment an eine starke Verbindung zueinander spüren, prallen zwei gegensätzliche Welten frontal aufeinander. Können eine selbstbestimmte Umweltaktivistin und ein traditionsbewusster junger Jäger zusammen sein, trotz aller Vorurteile und der Hindernisse, die die gegnerischen Familien und das Umfeld bedeuten?

© Bild-/Textquelle: Hanser Verlag

Autorin: Katrin Bongard ǀ Verlag: Hanser Verlag ǀ Erscheinung: 27. Januar 2020 ǀ Verlagsempfehlung: ab 14 Jahren ǀ Paperback: 272 Seiten ǀ ISBN: 978-3-446-26609-4 ǀ Preis: 16,00 €


Worum geht es in »Es war die Nachtigall«?


Die 16-jährige Tierschützerin und Umweltaktivistin Marie Nansen verguckt sich während eines Club-Konzertes der isländischen Band Ásgeir in Ludwig von Brockdorff, den Sohn einer bekannten Jägersfamilie. Beide fühlen sich von der ersten Begegnung an zueinander hingezogen und versuchen die Ansichten und Lebensweisen des jeweils anderen zu verstehen. Keine einfache Sache! Denn indes Marie und Ludwig offen aufeinander zugehen, haben im Familien- und Freundeskreis nicht alle Verständnis für die Liebe zwischen einer Veganerin und eines Jägers mit der Lizenz zum Töten. Das macht diese Verbindung nicht einfach, aber auch nicht unmöglich.


Was gefällt mir an »Es war die Nachtigall«?


Die Mischung aus moderner Liebesgeschichte und aktuellen Themen wie Massentierhaltung und Umweltschutz. Die wechselnden Ich-Perspektiven lassen einen rasch in die verschiedenen Alltagswelten der beiden Protagonisten eintauchen. Durch Ludwig erfährt man wissenswertes über die Natur und das Jagen im Wald. Alles Dinge, die man als Normalverbraucher nicht unbedingt weiß. Warum wird überhaupt gejagt? Und welche Rituale gibt es? Marie wiederum ist eine engagierte Jagdgegnerin mit Vorstrafe. Sie nimmt die Leser/innen mit auf eine illegale Tierschutzaktion (wer nach dieser Szene noch Appetit auf ein Ei hat?) und später zu Greenpeace-Treffen. Marie hinterfragt viel, kennt aber weitaus nicht alle Antworten und würde am liebsten die Schule abbrechen, um sinnvolles für Menschheit und Natur zu tun. Insgesamt wirkten die beiden nicht fehlerfrei, aber authentisch auf mich. Die Gegensätze zwischen Großstadtleben (Berlin/Postdam) sowie Jagd-/Waldleben unterstreichen indes die ungleichen Lebensstile.

Obwohl Marie und Ludwig anfangs unterschiedliche Ansichten vertreten, gehen sie offen aufeinander zu und verzetteln sich nicht unnötig in Missverständnissen und Verurteilungen. Klasse! Vorurteilen wird mit Neugier begegnet (das gilt allerdings nicht für einige der Nebenfiguren = Konfliktpotential). Direkte Fragen führen zu interessanten Pro-und-Contra-Argumenten. Obgleich die Vielzahl an aktuellen Themen durchaus den moralischen Zeigefinger der Autorin durchblicken lässt (meine Meinung!). Viele Probleme unserer Zeit, die zum Nachdenken anregen, werden kurz in Küchentischatmophäre angesprochen, dann aber nicht weiter vertieft. Zudem hat Katrin Bongard aus Ludwig einen sensiblen Hobby-Philosophen geformt, der eine Vorliebe für Island und die Romane von Karl Ove Knausgård hegt. So finden auch Gedanken über das Leben, die Liebe und das Sterben beiläufig Einzug in die Geschichte.

Der Schreibstil ist ebenfalls angenehm und flüssig zu lesen, da Katrin Bongard eher auf den Punkt schreibt und manches der Fantasie der Leser/innen überlässt. Ein Kuss ist hier eben ein Kuss und wird nicht in tausend Facetten umschrieben. Gleiches gilt für brenzlige Situationen, in denen an entscheidenden Stellen weggeblendet und zur nächsten Szene gesprungen wird. Das hat Vor- und Nachteile (ich verspürte eine teilweise Distanz zu den Charakteren). Mit circa 270 Seiten fällt »Es war die Nachtigall« auch recht kompakt aus und hat trotzdem eine starke Aussagekraft, die insbesondere am Ende nachdenklich stimmt und zum Diskutieren anregt. Ich persönlich bin dafür! Ich selbst habe nämlich ein Problem mit dem Ende (Achtung Spoilergefahr!).

Vielen Dank an die Autorin für die tollen Musiktipps im Buch! Bon Iver und Ásgeir sind durchaus einen oder mehrere YouTube Klicks wert.  


Was mag ich weniger an »Es war die Nachtigall«?


Achtung Spoilergefahr! Ich versuche möglichst, nicht zu genau auf den Inhalt einzugehen. An dieser Stelle lässt sich ein entscheidener Aspekt im Roman aber nicht umgehen.

Bereits auf der Zitatseite und im Prolog wird deutlich, dass diese Geschichte ein tragisches Ende finden wird. Nicht umsonst deutet der Buchtitel auf William Shakespeares »Romeo und Julia« hin. Shakespeare-Zitat: »Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche…« Dieses Wissen baut Spannung auf und viele Leser/innen werden diese gegenwärtige »Romeo und Julia«-Erzählung vielleicht gerade deshalb verschlingen. Obgleich der Plot bekannt sein dürfte, lauert stets die Frage, welche Szenen in »Es war die Nachtigall« an das Original anlehnt sind – die Liebe auf den ersten Blick, die Balkonszene, der tragische Tod der Liebenden? Und ja, Katrin Bongard geht hier (wie ich finde) durchaus kreativ zu Werke, ohne dabei in die Kitsch-Schublade zu greifen. Trotz des eindeutigen Prologs hoffte ich sogar auf ein gutes Ende. Zu Zeiten von Fake News ist immerhin alles möglich!

Dann kam er. Der letzte Akt. Die Tragödie. Übersichtlich in der Seitenzahl. Konsequent durchgezogen. Und das stört mich! Obwohl ich doch vorab wusste, was da ungefähr auf mich zukommen wird. Die Frage ist ohnehin nicht Ob oder Wann, sondern Wie. Das nun plötzlich alles ganz schnell geht und innerhalb weniger Seiten zur (fiktiven) Realität wird, finde ich für einen Jugendroman, aufgrund der Altersempfehlung ab vierzehn Jahren, durchaus vertretbar und in Ordnung.

Nun kommt MEIN ABER: Ich persönlich finde eine »Romeo und Julia«-Interpretation, transportiert in die heutige Zeit, schwierig. Vor allem was den suizidalen Part betrifft. Selbstgewählter Tod aus Liebe? Muss das in einem Jugendroman sein, der das Thema Suizid lediglich am Rande streift? Im Handlungsverlauf wird zwar ein Verlust in der Familie (oberflächlich) thematisiert. Ansonsten ersetzt die Liebe hier anscheinend das in der Familie verschriebene Anti-Depressivum (wird wirklich erwähnt). Ohnehin ist hier jede Nebenfigur irgendwie in jemanden verliebt, oft unerwiedert. Ist so ein drastischer Schlussakt da unbedingt notwendig? Für mich nicht! Das ist allerdings meine ganz subjektive Empfindung. Und wie es die Autorin im Prolog gewiss nicht umsonst in eine Grabrede mit einbaut hat: Für viele Menschen mag Suizid ein Tabu sein und nicht jeder wird diese tödliche Entscheidung nachvollziehen können. Ja, so ist es! Vielleicht könnte ich es aber verstehen, wenn nicht alles derart plötzlich und am Rande geschehen würde – wie eine Schlagzeile in den Nachrichten, die ich wahrnehme, aufgrund der flüchtigen Informationen aber nicht komplett erfassen kann.

Ist »Es war die Nachtigall« deshalb ein schlechtes Buch für mich? Nein! Denn wie es im Roman ebenso aufgezeigt wird: Man kann über alles reden und darf anderer Meinung sein. Mir macht die romantisierte Botschaft »Selbstmord aus Liebe« in einem zeit-gemäßen Roman für jugendliche Leser/innen dennoch zu schaffen. Gerade bei diesem Motiv hätte ich mir eine tiefgründigere Auseinandersetzung gewünscht, weil es letztlich alles andere überschattet und im Prolog zudem angedeutet wird, dass über dieses Thema niemand sprechen will. Die hier gewählte Holzhammer-Methode finde ich da ebenso wenig präventiv… oder gar romantisch.


Wem würde ich »Es war die Nachtigall« empfehlen?


Lesern und Leserinnen, die tragische Liebesgeschichten vertragen können und offen sind für aktuelle Themen wie Klimawandel und Tierschutz. Bei sehr jungen Leser/innen empfiehlt sich ein Austausch. Deshalb eignet sich das Buch sicherlich für Lesungen und Diskussionsrunden in Schulen (auch insbesondere wegen dem Ende!).


Kurz zusammengefasst


ProContra
+ aktuelle Themen
(u. a. Klimawandel, Tierschutz)
+ nicht fehlerfreie, aber authentisch
wirkende Charaktere
+ Kompakte Erzählweise mit Aussagekraft
+ Tolle Musiktipps im Roman
+ Roman regt zum Nachdenken
und Diskutieren an

– das konsequente Ende und dessen
flüchtige, thematische Umsetzung
– Teilweise Distanz zu den Charakteren
aufgrund der dosierten Erzählweise
sowie fehlender Hintergrundinfos




Transparente Information:
Die Buchbesprechung bezieht sich auf ein selbstgekauftes Buch und die Anzeige in der Produktinformation auf den Verlagslink, da dort das Buch zum Direktkauf angeboten wird. Ich selbst verdiene keinen Cent mit der Verlinkung. Überdies bilde ich mir stets meine eigene Meinung und tue diese auch unbeeinflusst kund.

© Buchrezension by www.filimure.de | Autorin: Doreen

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